Die neue niedersächsische „Umbauordnung“: Eine Pionierleistung zur Vereinfachung von Umbaumaßnahmen
Das Dilemma: Einerseits leben wir in einer Zeit, in der Wohnungsnot zu einem immer drängenderen sozialen Problem wird, so dass ein (bisher allerdings bei weitem nicht erreichtes) Hauptanliegen der Politik darin besteht, ausreichend neuen Wohnraum entstehen zu lassen. Andererseits rücken die ökologischen Kosten des Bauens – unter anderem (aber nicht ausschließlich; es geht z.B. auch um Probleme der fortschreitenden Versiegelung von Boden und um Umweltbelastungen durch Baumaterialien und deren Entsorgung) durch den ausgesprochen hohen Beitrag des Bauens zu den für den Klimawandel verantwortlichen CO2 – Emissionen immer mehr in den Blick. Wir müssen also, wenn Klimaschutzziele eingehalten werden sollen, die CO2-Belastung der Atmosphäre nicht nur durch den Betrieb von Gebäuden (Stichwort: Wärmeerzeugung), sondern auch durch das Bauen selbst drastisch reduzieren. Als ein möglicher Weg aus diesem Dilemma heraus – zumindest aber zur Reduzierung des Problems – gilt es, neuen Wohnraum nicht durch Neubau zu schaffen, sondern durch Umbau, Ausbau, Aufstockung und Umnutzung vorhandener Gebäude. Viele Verbände und Expertinnen beklagen seit langem, dass Umbaumaßnahmen bei uns durch Überregulierung zu kompliziert und zeitaufwendig, teuer und mit zu hohem Haftungsrisiken für die auf Planungs- und Ausführungsseite Beteiligten verbunden seien.
§ 85a der novellierten Bauordnung Niedersachsens
Das Land Niedersachsen hat hier jetzt mit einer zum 01.07.2024 in Kraft getretenen Novellierung der niedersächsischen Bauordnung (NBauO) „Pionierarbeit“ geleistet. Zentrales Regelungselement ist dabei der neu eingefügte § 85a NBauO.
Die Kernaussage dieser (auch als „Umbauordnung“ bezeichneten) neuen Vorschrift lautet: Wird ein bestehendes Gebäude baulich durch Aufstockung, Umbau oder Ausbau oder in seiner Nutzung geändert, müssen sowohl die vorhandenen als auch die neuen Bauteile (insbesondere Wände, Stütze, Decken, Böden, Dächer und Treppen) nur die allgemeinen Anforderungen des § 3 NBauO erfüllen, also „so angeordnet, beschaffen und für ihre Benutzung geeignet sein, dass die öffentliche Sicherheit, insbesondere Leben und Gesundheit, sowie die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere nicht gefährdet werden“ und „(u)nzumutbare Belästigungen oder unzumutbare Verkehrsbehinderungen ….. nicht entstehen“. Insbesondere müssen die vorhandenen und neuen tragenden Bauteile geeignet sein, zusätzliche entstehende Lasten aufzunehmen und den Brandschutz zu gewährleisten. Ob dies der Fall ist und wie es gewährleistet wird, bleibt aber letztlich ins Ermessen (und in die Verantwortung) von Bauherr/in und Entwurfsverfasser gestellt. Die zur Konkretisierung der allgemeinen Anforderungen erlassenen Vorschriften müssen ausdrücklich nicht erfüllt sein.
Die Erteilung einer Baugenehmigung ist für Bauvorhaben, die unter § 85a NBauO fallen, nicht erforderlich. Sie unterliegen (soweit sie nicht ohnehin genehmigungsfrei sind) dem „Mitteilungsverfahren“. Die beabsichtigte Baumaßnahme ist somit lediglich – unter Beifügung der Bauvorlagen – anzuzeigen. Die Bauvorlagen müssen von einer/einem nach den Bestimmungen der Bauordnung vorlageberechtigten Entwurfsverfasserin/Entwurfsverfasser erstellt sein. In den Bauvorlagen muss dargestellt sein, inwieweit die beabsichtigten Baumaßnahmen von Vorschriften zur Konkretisierung der allgemeinen Anforderungen nach § 3 NBauO sowie der Anforderungen an Standsicherheit und Brandschutz abweicht. Vorzulegen sind außerdem bautechnische Nachweise zur Einhaltung der Anforderungen an Standsicherheit und Brandschutz.
Durch die Novellierung dürfte die Realisierung von Umbau- und Umnutzungsmaßnahmen erheblich vereinfacht und auch kostengünstiger gemacht werden. Im Sinne der Wahrung dennoch notwendiger Baustandards erfahren die Erleichterungen nach § 85a NBauO aber einige Einschränkungen:
- Sie sind auf die namentlich im Gesetz aufgeführten Maßnahmen (Aufstockung, Umbau, Ausbau, Nutzungsänderung) beschränkt. Ausdrücklich ausgenommen sind z.B. Anbauten.
- Durch die von § 85 NBauO erfassten Maßnahmen darf der im Bestand bereits vorhandene Standard nicht unterschritten werden.
- Die Anforderungen an Gebäude und Bauteile zur Einsparung von Energie und zur Nutzung erneuerbarer Energien zur Wärme- und Kälteerzeugung aufgrund anderer Rechtsvorschriften müssen erfüllt sein.
Ausblick: § 85a NBauO als Vorbild für die Musterbauordnung und für die Bauordnungen anderer Länder?
Abgesehen von unvermeidlicher Detailkritik ist die Einfügung des neuen § 85a NBauO von vielen Verbänden und Expertinnen begrüßt worden. Misslich ist, dass auch hier wieder durch unterschiedliche Regelungen in den Bauordnungen der Länder ein „Flickenteppich“ entsteht. Die Länder Berlin und Brandenburg z.B. haben bei ihren aktuellen Novellierungen der Bauordnung entsprechende Regelungen in ihre Bauordnungen nicht übernommen. Nachvollziehbar ist daher die Forderung, eine § 85a NBauO entsprechende Vorschrift in die Musterbauordnung zu übernehmen.